An einem Samstag, Ende Winter mit einer angenehmen Temperatur von -3 Grad Celsius, saß ich an der 4. Ecke, an meinem Stammplatz. Die Straßen sind gefüllt, denn ich kann das aufgeregte klappern der Schuhsohlen hören, die wie aufgeregte Hühner gemeinsam alleine, um mich herum irren. So ist das mit der Anonymität. Meine Dose ist
noch nicht mal Ansatzweise gefüllt und ab und zu wirft jemand mir bedeutungslos
50 Cent oder 1 Euro hin, die überall aber nicht zu mir rollen, denn auf meinem Schild aus Pappe steht: „Ich bin
blind. Brauche Hilfe!“. Ich bedanke mich und suche nach dem Geldstück. Meine
Finger tasten auf dem kalten Steinboden, denn die meisten werfen es noch nicht
einmal auf meine Decke. Ich friere und fühle mich verloren. Ich fühle meine Beine nicht mehr richtig. Was sich die Leute wohl denken, wenn sie an
mir vorbeirauschen, wie von einer unsichtbaren Kette, namens Wettbewerbsgesellschaft, gezogen. Wieder nur so ein Obdachloser, der mein hart verdientes Geld erschnorren möchte oder schau dir den an, so möchte ich nie werden, zum Glück geht es mir so gut. Als ob es ein gutes Gefühl wäre, in der Kälte hier zu sitzen
und die herabwürdigen Blicke zu spüren, während man versucht das Klein-Geld zu greifen, während andere fast auf deine Hände treten. Die Glocke des Rathaus schlug 5-mal, der Abend war gelaufen, so viel war sicher
und das Geld war zu wenig, um sich davon eine warme Mahlzeit zu kaufen. Da
klackte ein Absatz von Schuhen. Die Person schien in meine Richtung zu gehen und ging schnurstracks an mir vorbei, doch
plötzlich hielt die Person an und ging auf mich zu. Sie nahm mein Schild und
bekritzelte es mit einem Edding, das konnte ich hören. Ich betastete ihre Füße; sie trug Prada. Dann stellte sie das Schild neben mich und ging wieder. Sie
hatte wahrscheinlich eine Beleidigung darauf geschrieben, was sollte ich, ein Penner aus der Gosse, denn schon erwarten? Das Gefühl von ungerechten Schicksaal machte sich in mir breit, dass an mir schon einige Zeit nagte. Ich war müde und döste vor mich hin, anstatt mich um das Schild zu kümmern und mir den Kopf zu zerbrechen, wie ich das Schild wieder in seinem Urzustand bekomme. Was hätte es schon für einen Unterschied gemacht? Da fielen plötzlich Münzen
in meine Dose. Sogar Scheine! Leute waren um mich herum und tuschelten freudig - weitere
Münzen landeten in meiner Dose und irgendwann war diese voll. Trotzdem steckten
mir die Leute noch Geldscheine zu und glucksten dabei vergnügt. Die Welt wirkte plötzlich gar nicht mehr so leer und ein warmes Gefühl verdrängt meinen Hunger. Das ging bis die Glocke 8-mal schlug und
sich der Wirbel legte. Ich wollte das Geld noch in der Bank umtauschen und mir
nicht nur eine warme Mahlzeit, sondern auch einen heißen Tee und eine
Thermoskanne gönnen. Da hörte ich das Klacken der Absätzte wieder. Waren das
die Prada-Schuhe? Sie kam wieder zu mir und fragte mich, ob ich die
Aufmerksamkeit bekam, die ich verdiente. Ich antwortete ihr mit der Gegenfrage,
was sie auf mein Schild geschrieben habe und sie antwortete, dasselbe mit
anderen Wörtern. „Heute ist ein wunderschöner Tag, aber ich kann ihn nicht
sehen.“
Vielleicht machen Wörter ja doch einen Unterschied?
4 Kommentare:
Diese Geschichte ist so unglaublich rührend.. Viel viel viel viel viel mehr Menschen sollten sie lesen und verstehen. Sie sagt so unglaublich viel aus, sie zeigt, wie die meisten Menschen denken, und wie einfach sie gestrickt sein können. Und auch, dass es ab und zu Menschen da draußen gibt, die ein Herz haben.
einfach nur wundervoll ♥
Wie wunderbar, die richtige Formulierung macht eben doch viel aus :) Schade eigentlich .... denn es ändert im Grunde ja nichts an der Tatsache, dass jemand trotzdem Hilfe braucht.
Sehr gut geschrieben...und kann man auch als Allegorie auf das Leben verstehen. Auf das Leben von Menschen, die sich sich zurückgewiesen, unverstanden und einsam fühlen. Ausgeschlossen vom Leben um sich herum, das an ihnen vorbeizieht. Sich nur noch ungerecht vom Schicksal behandelt fühlen. Und deshalb auch nicht erwarten, dass ihnen jemand,dem sie eigentlich nur noch mit Vorurteil begegnen können, aus welch schlimmen und schlechten Erfahrungen auch immer, wirklich helfen will. Sehen es nicht gleich, sind, da sie es nicht wirklich mehr erwarten und hoffen, leider selbst blind geworden. Blind für wahre Güte und ehrliches Mitgefühl und Hilfe. Erwarten nur erneute Ablehnung und Beleidigung.
Und dann aber zu spüren, zu erkennen, das es das doch gibt, und von unverhoffter Seite, ist ein grosses Glück.
Manchmal bedarf es dieser viel zu seltenen,ehrlichen und gütigen Menschen um einem die Augen zu öffnen....und wieder Hoffnung zu geben, in einer Welt, die leider meist nur das Gegenteil bereit hält.
....Fazit: Dieser Text ist so gut, dass ihn viel mehr lesen sollten...und Du kannst sehr gut mit der Sprache und den Wörtern umgehen. Mach weiter so. Zu selten sowas ist.
Basierend auf einem Video was einige Zeit lang auf Facebook und Youtube rum ging. Wobei ich sagen muss, irgendwie hat mich das Video mehr berührt... vllt weil man den Blinden sieht. und die Vorgeschichte danach zu sehen bekommt.
Dennoch gute Arbeit
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